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If I Subtract All the Time I Have Spent Uselessly Surfing the Internet, It Could Still Be 2016
Galerie Lisi Hämmerle, Bregenz
07. Nov. 2020 – 13. Feb. 2021

RUBEN AUBRECHT

Informationsverarbeitungsprotokolle, Aufzeichnungssystemanalysen – und ein bisschen Selbsttracking

Als Richard Long 1967 erstmals „A Line Made by Walking“ präsentierte, exemplifizierte der junge Künstler jene protokollarischen Systeme der Aufzeichnung, die in konzeptuellen künstlerischen Praktiken bis heute zum methodischen Standard gehören. Mit der Fotografie einer nicht näher bestimmten Wiese in der Nähe Londons, die Long in Form einer geraden Linie ausgetreten hatte, dokumentierte er nicht nur das Ergebnis einer Aktion, die heute zu den Ikonen der Land Art gehören. Schon mit der Performance an sich zeichnete er die Zeit auf, die verging, um den Boden mit seinen Schritten zu markieren. Darüber hinaus verarbeitete er seinen eigenen Körper, dessen Gewicht und Bewegung verantwortlich für das Plätten des Grases waren, zu Information. Die Beliebigkeit des Ortes – diese Wiese irgendwo im England der 1960er-Jahre – verstärkte zudem die Reflexion auf ein Koordinatensystem, das sich aus dem Zusammenwirken der Dreiheit von „Ich“, „Hier“ und „Jetzt“ speiste

Knapp 60 Jahre später und mit Themen wie digitaler Überwachung, Netzwerkkapitalismus und zuletzt wieder verstärkt kursierenden Verschwörungstheorien im Hinterkopf, hat sich nicht nur die geopolitische Situation verändert, auch die Medien der Aufzeichnung sind unter anderen Vorzeichen zu begreifen. Dennoch lässt sich Ruben Aubrechts künstlerische Praxis mit der von Richard Long zusammenführen: „Walking a Straight Line“ lautet der Titel des ersten Werks einer mehrteiligen Serie, die von einer App aufgezeichnete GPS-Trackingdaten nutzt, um eine gerade Linie sowohl aus dem globalen Netzwerk an Informationen herauszuschälen als sich mit einer Linie in ebendieses globale Netzwerk wieder einzuschreiben. Die so genannten Metadaten, Textelemente, die in bestimmten Abständen Zeit und Ort der Bewegung des Mobiltelefons Ruben Aubrechts beschreiben, hat der Künstler in eine schwarze Steinplatte mit polierter Oberfläche lasern lassen. Einem ausgeschalteten, schwarz-spiegelnden Display gleich, sind auf der Tafel vier parallel geführte Textzeilen zu sehen, die mit etwas Abstand betrachtet und ohne Fokus aus den einzelnen Buchstaben, gerade Linien ergeben – jene Linien, die Ruben Aubrecht, genau wie Richard Long, zu Fuß gegangen ist, um sich selbst in virtuellem Raum und Zeit zu situieren.

Dass die Idee von Virtualität, mit der das Werk Ruben Aubrechts häufig operiert, durchaus handfest und materiell werden kann, zeigt die Fotoserie: „15 x 15 km“. Für die 25-teilige Arbeit hat der Künstler ein Planquadrat von 15 × 15 Kilometern an einem nicht näher definierten Ort außerhalb von Berlin bestimmt und alle Sendemasten in diesem Areal fotografisch dokumentiert. Als graue Beton- oder Stahlkonstruktionen wirken diese meist freistehenden Architekturen wie Fremdkörper inmitten idyllischer Landschaften, wo sie die Endgeräte der Benutzerinnen und Benutzer auch noch im entlegensten Winkel mit Daten und Informationsflüssen versorgen: „Janusköpfige Gebilde“, wie Ruben Aubrecht es formuliert, „die unbegrenzten Zugang zu Wissen und Information versprechen und gleichzeitig Instrumente der totalen Kontrolle sind.“ Die standardisiert frontal aufgenommenen Farbfotografien der Serie führen schon allein aufgrund ihrer Konzentration in einem recht überschaubaren Areal von nur 225 Quadratkilometern vor, wie massiv die Infrastruktur ist, die wir benötigen, um uns jederzeit und allerorts durch das digitale Netzwerk zu klicken. Aber mehr noch, legt die Menge an Sendemasten auch offen, welcher Aufwand von offizieller Seite betrieben wird, um die nötigen Strukturen für flächendeckende Transparenz zu gewährleisten.

Wie weit die Bedeutungen des Begriffs „Transparenz“ auseinander gehen können, von gläsern-durchscheinend bis milchig-verschwommen, also von durchsichtig bis hin zum Gegenteil, wird in Ruben Aubrechts „Cookies“ evident: Die Webseite von Monopol, das selbst ernannte Magazin für Kunst und Leben, benötigt wie jedes andere online verfügbare Medium auch die Zustimmung seiner Leserinnen und Leser zur Datenverarbeitung von Cookies und anderen Technologien, die es ermöglichen, ihren Besuch zu registrieren und zu speichern. Einmal angeklickt, meist ungesehen weil zeitaufwändig und deshalb lästig, produzieren wir täglich mehrfach unsichtbare Listen über Listen an Zustimmungserklärungen, die sich in Ruben Aubrechts Buch mit Sätzen wie „ Protecting your privacy is important to us.“, „We would like to thank you for your trust.“ oder „What Are Your Rights?“ wie die Aneinanderreihung repetitiver Gedichte über den dystopischen Zustand der Gegenwart lesen.

Im Unterschied zur Abbildung und Vermessung technologischer Infrastrukturen in „15 x 15 km“ bezieht sich die 5-teilige Serie „New Constellations“ auf eine Dimension, die das menschliche Maß übersteigt. Es handelt sich dabei um neue, technologische Sternbilder, die Ruben Aubrecht durch die Aufnahme von geostationären Satelliten gemacht hat. Diese künstlichen Erdbegleiter befinden sich in einer Höhe von knapp 40.000 Kilometern über der Erdoberfläche entlang des Äquators und begleiten die Erde bei ihrer Drehung um die eigene Achse. Da die Fluggeschwindigkeit dieser Kommunikations-, Fernseh- und Wettersatelliten an die Rotationsgeschwindigkeit der Erde angepasst ist, scheinen die Elemente immer an derselben Stelle am Himmel zu stehen. Für „New Constellations“ hat Aubrecht den Sternenhimmel mittels Langzeitbelichtung aufgenommen und vermag auf diese Weise die unbeweglichen, technologischen Fixsterne, diese Newcomer, von allen anderen Himmelskörpern zu unterscheiden. Ähnlich wie bei den Sendemasten wird in diesen neuen Sternbildern die Infrastruktur, die gleichermaßen zum gesellschaftlichen Austausch wie zur Überwachung der Gesellschaft benutzt werden kann, offensichtlich.

Für die titelgebende Arbeit der Ausstellung „If I subtract all the time I have spent uselessly surfing the Internet, it could still be 2016“ hat Ruben Aubrecht einen so genannten Smart Mirror, gleichzeitig Spiegel wie Display, im Do-it-yourself-Modus gebaut. Am Eröffnungsabend der Ausstellung gibt der Spiegel nicht nur die Bilder derjenigen Personen wieder, die sich die Arbeit genau ansehen, sondern die Oberfläche wird auch jene geschätzte und mit Statistiken der Mediennutzung hochgerechnete Zeit anzeigen, die der Künstler sinnlos im Internet verbracht hat. Ab dem 6. November, mit Beginn der Ausstellung also und über deren gesamten Verlauf, trackt der Smart Mirror schließlich Ruben Aubrechts Aufenthaltsdauer im World Wide Web in Echtzeit und gibt die jeweilige Ergebnisse zur Interpretation durch die Besucher_innen der Galerie preis.

Pressetext von Franz Thalmair